Petition "Selbsthilfegruppen und Selbstorganisierte Initiativen sind systemrelevant!"

Pressemitteilung des Selbsthilfezentrum München (SHZ)

Am 17.09.2020 wurde die Petition "Selbsthilfegruppen und Selbstorganisierte Initiativen als systemrelevant einordnen!" offiziell beim Bayerischen Landtag mit knapp 4.000 Unterschriften eingereicht.

bkmev_selbsthilfegruppen_sind_systemrelevant Das Selbsthilfezentrum München und alle Unterstützer*innen der Petition appellieren darin an die Bayerische Staatsregierung, Selbsthilfe als systemrelevanten Bestandteil des öffentlichen Lebens anzuerkennen und einzuordnen, damit ihre Akteur*innen gerade in Krisenzeiten die Arbeit fortführen können, anstatt in Isolation und Stillstand zu erstarren.
Die Petition wurde nach der Aufhebung des Corona bedingten Lock Down im Juni 2020 auf der Plattform OpenPetition.de online geschaltet, als das öffentliche Leben an den verschiedensten Stellen wieder in Gang kam. Selbsthilfegruppen schienen jedoch vergessen zu werden. Viele Selbsthilfe-Kontaktstellen in ganz Bayern haben sich in dieser Zeit wochenlang vehement dafür eingesetzt, dass Treffen von SHGruppen wieder ermöglicht werden. Eine flächendeckende und einheitliche Berücksichtigung oder Regelung, wie die Arbeit der Selbsthilfe weiterzuführen ist, war leider nicht zu erreichen. Es war und ist nicht nachvollziehbar, dass die Selbsthilfe, gerade vor dem Hintergrund zahlreicher Lockerungen, so lange ausharren musste. Wir sehen den Grund hierfür in der Tatsache, dass die Selbsthilfe in dieser einmaligen Situation auf dem „Radar“ vieler Entscheidungsträger nicht als systemrelevanter Bestandteil des Zivillebens vorhanden ist und daher bei Entscheidungen nicht mitgedacht wird. Dies zu verändern möchten wir durch die Petition dringend erreichen.

Begründung für die Forderung:
Für die Teilnehmenden von Selbsthilfegruppen sind die Treffen nicht nur ein vertrauter, regelmäßiger Termin im Kalender, für viele sind die Treffen häufig lebensnotwendig, wenn es sich z.B. um eine Suchtproblematik oder eine psychische Labilität handelt. Die Gruppen geben sich gegenseitig Halt und Unterstützung, nehmen den persönlichen Druck und entlasten im oft schwierigen Alltagsgeschäft. Selbsthilfegruppen sind eine wichtige Ergänzung des professionellen Sozial- und Gesundheitssystems, das schon in ganz normalen Zeiten oft nicht in der Lage ist, die nötige Unterstützung, Behandlungen und Therapien anzubieten. In der aktuellen Krisenzeit wächst der Druck umso mehr – jetzt sind Unterstützung und Entlastung durch die Selbsthilfegruppen umso wichtiger und notwendiger. Die Zahl der Selbsthilfegruppen, die im Sozial- und Gesundheitsbereich ca. 900 verschiedene Themen abdecken, kann bayernweit mit etwa 11.000 angegeben werden. Etwa zwei Drittel aller Selbsthilfeinitiativen befassen sich mit Themen rund um die Gesundheit bzw. mit den Folgen von Erkrankungen (z.B. Krebs, Behinderung, Pflege, Depression, Alkoholabhängigkeit uvm.). Ein weiteres Drittel beschäftigt sich mit Themen aus den Bereichen Soziales (z.B. familiäre Probleme, Arbeitslosigkeit, Flucht, Migration etc.) und Umwelt. Die Gruppen leisten diese wertvolle Arbeit ehrenamtlich, unentgeltlich und ohne professionelle Leitung. Stimmen von Unterstützer*innen: Die Petition wurde vor allem von Aktiven der Selbsthilfe, aber auch von vielen professionellen Helfer*innen z.B. Ärzten, Psychotherapeuten etc. und auch von allgemein interessierten Bürgern unterschrieben. 1360 Personen, die die Petition unterzeichneten, nutzten die Kommentarfunktion, um ihrem Anliegen besonderen Nachdruck zu verleihen. Hier einige Auszüge, die noch einmal besonders deutlich machen, wie wichtig die Selbsthilfe für viele Menschen ist und warum es wichtig ist, besonders in Krisenzeiten ihre besondere gesellschaftliche Relevanz anzuerkennen.

Isabel Schupp (Icking) - 11.06.2020 16:11 Uhr
„Mein Kind ist gestorben. Die Gruppentreffen bei den Verwaisten Eltern in München sind für mich und alle anderen betroffenen Eltern überlebenswichtig!!!“

Henni Pascoe (Mühldorf) - 16.06.2020 16:04 Uhr
„Ich bin blind und arbeite ehrenamtlich für den Bayerischen Blinden- u.Sehbehindertenbund. Gerade Menschen, für deren gesundheitliche/psychische Situation keine "offizielle" medizinische Hilfe möglich oder zu erwarten ist, bedeutet der persönliche kontakt zu Gleichbetroffenen sehr viel. Der Austausch und die Gemeinschaft in einer Selbsthilfegruppe hilft ihnen, ihren schwierigen Alltag besser zu bewältigen, macht Mut, verhilft zu mehr Zuversicht und Lebensfreude. Man sollte wirklich alles tun, daß auch in Krisenzeiten wie jetzt die gegenseitige Zuwendung und Unterstützung gerade für die Menschen, die sie am nötigsten brauchen, dauerhaft gewährleistet ist – natürlich mit aller gebotenen Vorsicht.“

Nicht öffentlich (Hersbruck) - 16.06.2020 14:22 Uhr
„Ich bin als Arbeitnehmer in einem Krankenhaus systemrelevant. Brauche aber durch meine Erkrankung dringend meine Selbsthilfegruppe. Alleine schaffen wir das nicht. Zusammen halten wir seit über einem Jahr durch (Depression, Burn out. etc.). Wir wollen keinen Rückschlag. Wir wollen STARK sein. Für uns. Für unsere Familie. Für die Gesellschaft.“

Dr. Jürgen Thorwart (Eichenau) - 15.06.2020 15:22 Uhr
„Bei Einhaltung der üblichen Hygienemaßnahmen macht es keinen Sinn, die Selbsthilfe anders zu behandeln als andere Gruppen. Zudem stellt die Selbsthilfe ein zentrales Element der Gesundheitsförderung dar, die im Rahmen der Epidemie zu sehr vernachlässigt wurde.“

Gertraud Appel-helmer (Rain) - 13.06.2020 06:09 Uhr
„Als Psychiaterin weiß ich, dass meine Pat. sich allein durch Teilnahme an einer solchen Gruppe in Krisen stabil halten können und somit keine Kosten im Gesundheitssystem erzeugen. Außerdem schätze ich die hohe Motivation sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Insofern sind für mich die Gruppen systemrelevant.“

Christoph Indlekofer (Altusried) - 19.06.2020 16:37 Uhr
„Als Psychotherapeut empfehle ich immer wieder den Besuch von Selbsthilfegruppen. Ich weiß um deren Bedeutung für die Betroffenen. Das, was dort an Bezogenheit, gegenseitiger Unterstützung, Ermutigung und Halt gelebt und umgesetzt wird, ist insbesondere in Zeiten wie der gegenwärtigen von unverzichtbarem Wert!“

Gudrun Schirmer (Erlangen) - 13.06.2020 12:24 Uhr
„Ich bin selbst in der Selbsthilfegruppe aktiv. Ich führte viele Gespräche mit neu an Krebs erkrankten Frauen und spürte wie wertvoll diese Gespräche mit den Betroffenen waren. Krebs gibt es auch zu Corona-Zeiten und Erkrankte haben es jetzt noch viel schwerer als bisher. Ein grundsätzliches Verbot ist nicht einzusehen. Man kann auch Gespräche unter Einhaltung von Abstandsregeln führen. Gerade für Menschen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist die Lebensqualität in der verbleibenden Zeit besonders wichtig!“

Michael Engel (Coburg) - 01.07.2020 16:36 Uhr
„Bei allem Respekt vor der Energie und dem Einfallsreichtum bei der Sorge der Politik und ihrer Ministerien um systemrelevante (wie auch immer das ausgelegt wird) und stückweise dazu erklärter Bereiche. Wie die Selbsthilfe hier einfach links liegen gelassen wird spricht Bände. Wirtschaftshilfen, Urlaub, Hochzeit, Stammtisch - alles in Ordnung aber das ist halt nicht Alles. Wenn die Selbsthilfe für die Politik so wenig systemrelevant, ist es m. E. auch die Politik für die Selbsthilfe. Und ein Videochat ersetzt keine Begegnung.“

Für Presseanfragen wenden Sie sich bitte an:
Klaus Grothe-Bortlik, E-Mail: klaus.grothe-bortlik@shz-muenchen.de, Tel.: 089/53 29 56 -15
Selbsthilfezentrum München (SHZ), Westendstraße 68, 80339 München
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